Urlaubsabgeltung
Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist in § 7 Abs. 4 BUrlG geregelt. Arbeitnehmer können nach der Rechtsprechung des BAG und des EuGH über den Wortlaut der Vorschrift hinaus Anspruch auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung haben.
Urlaubsabgeltung nach langer Krankheit
Wenn ein Arbeitnehmer langfristig bzw. dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt, so kann es bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorkommen, dass offener Urlaub (d.h. nicht erfüllte Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers) bei der letzten zu erstellenden Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge zu berücksichtigen sind.
Urlaub, der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in natura gewährt wurde, wird kraft Gesetzes in Geld umgewandelt. § 7 Abs.4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) regelt: „Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.“
Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer hat eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ab dem 01.02.2020 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.10.2020. Er konnte deshalb in 2020 wegen seiner Krankheit überhaupt keinen Urlaub nehmen (kein Übertrag aus dem Vorjahr). Entsprechend konnte der Arbeitgeber den Urlaub auch nicht gewähren. Die nicht genommenen Urlaubstage werden daher in Entgelt umgerechnet. Auf gesetzlicher Basis würde sich ergeben: Die Lohnabrechnung für Oktober 2020 enthält die Umwandlung von 20 Jahresurlaubstagen (gesetzlicher Urlaub bei 5-Tage-Vollzeit-Woche) in Lohn bzw. Entgelt.
Dies gilt grundsätzlich auch bei Dauererkrankungen, wenn der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war (d.h. bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses), und der Urlaub deshalb nicht gewährt werden konnte. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu Schulz-Hoff (Rechtssachen C-350/06 und C-520/06) und KHS (Rechtssache C-214/10) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgezeigt, wie diese Fälle zu behandeln sind:
Das BAG hat zunächst die sog. Surrogatstheorie aufgegeben, Urteil vom 19.06.2012, Az 9 AZR 652/10 „(…) Die frühere Rechtsprechung hat angenommen, der Abgeltungsanspruch sei abgesehen von dem Tatbestandsmerkmal der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch. Er setze als Erfüllungssurrogat des Urlaubsanspruchs voraus, dass der Urlaub noch gewährt werden könne, wenn das Arbeitsverhältnis noch bestände (…). Da der Urlaubsanspruch auf das Kalenderjahr befristet sei, müsse auch der ihn ersetzende Abgeltungsanspruch bis zum Ende des Kalenderjahres geltend gemacht und erfüllt werden. Anderenfalls gehe er ebenso wie der Urlaubsanspruch ersatzlos unter (…) Der Senat gibt seine Rechtsprechung zum Charakter des Abgeltungsanspruchs als Surrogat des Urlaubsanspruchs insgesamt auf. Der Abgeltungsanspruch ist ein Geldanspruch, dessen Erfüllbarkeit nicht von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers abhängt und der nicht dem Fristenregime des BUrlG unterliegt. (…)“
Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass ihr gesetzlicher Urlaubsanspruch unabhängig von einer Übertragung in Entgelt umgewandelt wird. Dabei sind auch Sonderurlaubstage einzubeziehen, z.B. bei schwerbehinderten Menschen. Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann aber Verfall- oder Ausschlussfristen unterliegen (BAG Urteil vom 13.12.2011, 9 AZR 399/10).
Urlaubsabgeltung bei unterlassenem Hinweis auf Verfallfrist
Urlaub muss grundsätzlich bis zum Jahresende genommen werden (oder bei Übertragung bis zum 31. März des darauffolgenden Jahres, so das Bundesurlaubsgesetz. Trotzdem verfällt der Urlaub nur unter strengen Voraussetzungen (unionsrechtskonforme Auslegung): Dafür muss der Arbeitgeber nachweisen, dass er seinen erforderlichen Mitwirkungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist, und u.a. rechtzeitig auf die Verfallsregelung für den Urlaub hingewiesen hat.
Wird der Hinweis nicht gegeben, so verfällt der Urlaub nicht. Arbeitnehmer können Urlaubstage dann also über Jahre hinweg ansammeln, und sich später darauf berufen. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses kann eine hohe Abgeltung (Auszahlung) des über Jahre angehäuften Urlaubes anfallen (BAG, Az. 9 AZR 541/15).
Der Europäische Gerichtshof hat am 22.09.2022, Az. C120/21, darüber hinaus entschieden, dass bei unterlassenem Hinweis des Arbeitsgebers nicht nur kein Verfall, sondern auch keine Verjährung eintritt. Das Gericht hielt den Arbeitnehmer für schutzwürdiger als den Arbeitgeber, dem die Hinweispflicht obliegt.
Aufgrund dieser Rechtsprechung des EuGH können Arbeitgeber mit hohen kumulierten Urlaubsansprüchen konfrontiert werden, wenn der Hinweis auf die Verfallfrist nicht gegeben wurde. Arbeitnehmer haben dadurch auch die Möglichkeit, die Abgeltung/Auszahlung des nicht genommenen Urlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen.
Die Inanspruchnahme von Urlaub darf nicht zum Verlust von Überstundenzuschlägen führen Der Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 13.01.2022, C-514/20 formuliert das so: Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen bezahlten Jahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden. |